Rita Fürstenau – die Illustratorin als Verlegerin

Rita Fürstenau, Foto: Lois Brendel

Die Illustratorin Rita Fürstenau ist Gründerin des Verlags „Rotopol“ und Inhaberin einer Ladengalerie in der Friedrich-Ebert-Straße 95. Dort finden regelmäßig Ausstellungen namhafter Künstler_innen statt. Der Verlag für grafisches Erzählen umfasst ein vielseitiges Angebot an Comics und Bilderbüchern und erzielt einen großen Teil seines Umsatzes über englischsprachige Bücher, die nach Nordamerika und Asien gehen. 2020 wurde Rotopol mit dem „Deutschen Verlagspreis“ ausgezeichnet.

Im Gründerblog beschreibt die vielseitige Verlegerin und Künstlerin den Weg von der Studentin zur Gründerin:

Ich wollte non-lineare Geschichten erzählen, die eben keine chronologische Handlung haben, sondern den Lesern assoziativen Input geben und zum Weiterdenken anregen.
Das war aber nicht das Format, das von Verlagen nachgefragt wurde, als ich noch studiert habe. Es gab eine Riesenkluft zwischen dem, womit man sich an der Hochschule auseinandersetzt und dem, was auf dem Markt tatsächlich herausgebracht wurde. Viele Verlage schienen ihre Entscheidungen eher auf der Basis von Marktforschung zu treffen, um erfolgreiche Formate zu reproduzieren.

Mein Ansatz dagegen war, das Projekt erstmal von innen heraus zu denken und erst am Ende zu überlegen, wer die Zielgruppe ist. Eine komplett andere Herangehensweise – ich merkte, dass ich entweder meine künstlerische Praxis gänzlich umkrempeln muss oder meine Bücher selbst vertreiben muss. Ich machte eine Reihe von kleineren Heften fertig und fragte bei Buchhandlungen nach, ob es Interesse gibt, sie auszulegen. Die Buchhändler erklärten mir, dass meine Bücher ohne Verlagsstrukturen und damit auch ohne ISBN-Nummern nicht im Handel funktionieren.

Im Januar 2006 habe ich den „Verlag ohne Titel“ gegründet
Also bin ich zum Rathaus gegangen und habe für 22 Euro einen Gewerbeschein beantragt. Als Erstes habe ich gleich 100 ISBN-Nummern gekauft, die ich dann auf meine Bücher drucken konnte. Damit war der „Verlag ohne Titel“ gegründet und meine Bücher konnten sich in die Strukturen des Buchhandels einfügen. Für mich war dieses Vorgehen erstmal nicht mehr als ein Werkzeug, um meine eigenen Produkte auf den Markt zu bringen. Gleichzeitig habe ich mich an der Kunsthochschule nach Gleichgesinnten umgeschaut.

Wir haben den „Verlag ohne Titel“ umbenannt und den Laden als Kollektiv betrieben
2007 stand die „documenta 12“ vor der Tür und einige meiner Kommilitonen und Kommilitoninnen hatten auch bereits ihre Projekte im Verlag veröffentlicht. Wir merkten, wie toll es ist, diesen Verlag zu haben, mit dem wir eine Plattform schaffen konnten, um mehr Publikum zu erreichen.

Wir haben als Gruppe von fünf Studierenden aus der Illustrationsklasse einen Ort mit Schaufenster in der Stadt gesucht und fanden diesen Laden in der Friedrich-Ebert-Straße. 2007 gab es hier noch viel Leerstand und keine Cafés. Dort, wo heute die Samuel-Beckett-Anlage ist, war damals die Wiese der Bereitschaftspolizei, wo jetzt ein Supermarkt steht, standen einfach nur riesige Pappeln und ein kleines, leerstehendes rosafarbenes Haus. Wir wollten unseren Laden unbedingt vor der documenta renovieren und haben Tag und Nacht gearbeitet. Der lange Flur sollte Ausstellungsfläche werden. Und wir haben den „Verlag ohne Titel“ in „Rotopol“, also einen Ort, der in stetiger Bewegung ist, umbenannt. Durch den Verlag und den Laden hatten wir die Möglichkeit, uns mit anderen zu vernetzen, Gruppenausstellungen anzubieten und Künstler_innen einzuladen, deren Arbeiten wir bewundern.

Der Laden wurde von uns fünf als Kollektiv betrieben und so konnten wir uns die Öffnungszeiten gut aufteilen. Im Laufe des ersten Jahres stellte sich dann heraus, dass zwei von uns sich lieber auf ihre freiberufliche künstlerische Arbeit fokussieren wollten und so betrieben Lisa Röper, Michael Meier und ich den Laden und den Verlag bis Ende 2015 zu dritt.

Einige Nachbarn dachten, wir eröffnen einen Tabakladen, der auch Illustrierte anbietet
Für uns war die documenta ein Ansporn, mit allem fertig zu sein und unsere Arbeiten einem kulturinteressierten Publikum zu präsentieren. Als wir den Laden eröffneten, sind wir auch bei allen Nachbarn vorbeigegangen und haben sie eingeladen. Es kam dabei zu sehr witzigen Begegnungen, einige dachten tatsächlich, wir eröffnen einen Tabakladen, in dem es Illustrierte gibt.

Unser Laden sorgte erstmal für viel Irritation. Unsere Ladenfront war einfach verglast und so bekamen wir direkt mit, wenn Passanten und Passantinnen vor unserem Laden standen und sich wunderten, wieso statt des benötigten Metzgers oder Schuhgeschäfts so ein komischer Laden dort entstünde.

Dann bekamen wir Ende 2007 den Kulturförderpreis der Stadt Kassel
Das war für uns als Studierende eine tolle Rückmeldung und Ansporn. In dem Moment haben wir gemerkt, dass, auch von außen betrachtet, etwas passiert und durch diese Bestätigung haben wir unser Unternehmen auch anders gedacht.

Keiner von uns wusste, wie man einen Verlag leitet, aber wir bekamen viel Unterstützung von anderen Comicverlagen
Wir hatten weder eine kaufmännische Ausbildung noch Zeit, ein Verlags-Praktikum zu machen, um Strukturen, Arbeitsweisen und branchenspezifisches Wissen kennenzulernen. Und so mussten wir uns alles selbst zusammensuchen. Wir versuchen auch heute noch, das Risiko möglichst gering zu halten und haben nie Kredite aufgenommen, sondern wachsen aus uns selbst heraus. Dadurch haben wir uns langsamer entwickelt, aber wir haben die Zeit auch gebraucht, um zu lernen. Eine große Hilfe waren andere Comicverlage in Deutschland, die uns unsere Fragen zum Lizenzhandel geduldig beantworteten oder uns Musterverträge für die Zusammenarbeit mit Künstler_innen schickten. Daraus haben sich viele Freundschaften ergeben. Ich weiß es wirklich zu schätzen, in diesem tollen kollegialen Umfeld zu arbeiten.

Mich interessieren Projekte, die eine gewisse kreative Eigensinnigkeit haben
Mit unseren Projekten wollten wir nicht an Markttrends anzuknüpfen, sondern versuchen, besondere künstlerische Projekte gemeinsam mit unseren Künstler_innen zu realisieren und sichtbar machen. Wir verlegen zeitlose Bücher, die wir kontinuierlich pushen und legen die Zusammenarbeit langfristig aus. Wir haben Künstler_innen, von denen wir schon drei, vier oder fünf Bücher verlegt haben. Unser Anliegen ist, alle Bücher gleichwertig nebeneinander zu stellen. Viele Künstler_innen, die ihre ersten Bücher bei Rotopol veröffentlicht haben, arbeiten mittlerweile für sehr renommierte Adressen wie die Süddeutsche, DIE ZEIT oder die New York Times. Sie haben schon große Projekte für andere Verlage umgesetzt und Bücher geschrieben, sodass diese Künstler_innen heute eine andere Aufmerksamkeit haben und ein eigenes Publikum.

In Deutschland ist bisher wenig üblich, ein großformatiges Buch mit Illustrationen und poetischem Text in die Hand zu nehmen und den Abend damit zu verbringen, statt einen Roman zu lesen, aber wir merken, dass es immer besser funktioniert.
Seit wir einige Titel des Verlagsprogramms auf Englisch anbieten, kommt ein großer Teil unseres Umsatzes über Bücher, die auch in Nordamerika und Asien verkauft werden.

Corona – und jetzt?
Im letzten Jahr haben wir 15 Messen und Festivals in Deutschland und der ganzen Welt besucht oder dort ausgestellt. Wir sind international gut vernetzt und ich vermisse es in diesem Jahr, unsere langjährigen Kolleginnen und Künstler auf der ganzen Welt zu treffen.

Seit einem Jahr planen wir Ausstellungen und Veranstaltungen für all die Neuerscheinungen in 2020 – und nun verpufft diese Arbeit vollkommen. Messen und Veranstaltungen finden nicht statt und die für diesen Monat geplante Büchertour mit dem kanadischen Künstler Guillaume Perreault musste auch ausfallen. Stattdessen haben wir ein digitales Interview geführt, aber natürlich ist es schwierig, neben den geplanten Abläufen, der Produktion unserer Bücher, dem Druck unseres Katalogs und der Öffentlichkeitsarbeit, neue digitale Formate auf die Beine zu stellen, die unsere analogen Prozesse ergänzen.

Aktuell nutzen wir unseren Flur nicht als Ausstellungsfläche. Stattdessen präsentieren wir hier Bilderbücher und Comics, während wir im Verlag auch unser Kinderbuchprogramm ausbauen. Mir ist es ein wichtiges Anliegen, nicht nur die Neuerscheinungen zu zeigen, sondern auch bestehenden Büchern Aufmerksamkeit zu widmen. Auch im Buchhandel wünsche ich mir mehr Themenschwerpunkte, also die Präsentation von Büchern in einem bestimmten Kontext unabhängig von ihren Erscheinungsterminen.

Vom 17. – 26. Juli 2020 haben Studierenden der Illustrations- und Comicklasse unsere Räume und das Schaufenster genutzt, um das „Triebwerk 9“ hier auszustellen.
Dieser Sammelband ist in Zusammenarbeit mit der studentischen Redaktion entstanden. Für die Studierenden war es eine tolle Chance, von den Erfahrungen des Verlags zu profitieren und zu lernen, wie Daten für den Druck vorbereitet werden und was die Zusammenarbeit mit einem Verlag bedeutet. Einige der Studierenden haben auch schon als Praktikanten und Praktikantinnen im Verlag und Laden mitgearbeitet.

Für die Zukunft wünsche ich mir, dass sich noch mehr Menschen trauen ein Buch in die Hand zu nehmen, in dem der Inhalt auch grafisch und in der Verbindung von Text und Bild dargestellt und erzählt wird. Vielleicht werden sie ja überrascht und wer Lust auf Mehr bekommt, kann gerne bei uns vorbei schauen.

Aufgezeichnet von Gabriele Hennemuth

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