Rettungsversuch der ältesten Videothek der Welt durch Crowdfunding gescheitert – wie geht es weiter?
Als die Mitglieder des Randfilm e.V. im Juni 2017 erfuhren, dass der Film-Shop in Kassel, die älteste Videothek der Welt, geschlossen werden sollte, beschlossen sie, diesen besonderen Ort zu retten. Mithilfe einer Crowdfunding-Kampagne versuchten sie, 29.000 Euro einzusammeln. 176 Menschen haben die Kampagne des Randfilm e.V. unterstützt und wollten insgesamt 16.828 Euro spenden. Weil die Fundingsumme nicht erreicht wurde, ging das Geld wieder an die Unterstützer_innen zurück bzw. wurde nicht abgebucht. Ich habe mit Ralf Stadler darüber gesprochen, was gut lief, was schwierig war und was er daraus gelernt hat.
Ralf, lass uns über eure Crowdfunding-Kampagne sprechen! Euer Ziel war, 29.000 Euro für die Rettung der „Ältesten Videothek der Welt“ einsammeln. Was sind rückblickend deine Erfahrungen? Was lief gut, was war schwierig?
Aus unserer Sicht hat die Kampagne gut funktioniert. Das Handling auf der Plattform hat gut geklappt, wir haben viele Blogbeiträge geschrieben und hatten auch eine hohe Reichweite.
Ihr habt in sehr kurzer Zeit eine tolle Kampagne auf die Beine gestellt. Trotzdem habt ihr das Fundingziel nicht erreicht – was waren die Gründe?
Ich denke, wir konnten aufgrund der kurzen Zeit die Crowd nicht richtig aufbauen. Unsere Aufgabe war, einen Traditionsladen, diese älteste Videothek der Welt für eine neue Generation zukunftsfähig zu machen. Und das geht nicht von heute auf morgen, denn wir mussten uns eine völlig neue Zielgruppe schaffen. Wir haben gemerkt, dass viele Kasseler diese Videothek schon abgeschrieben hatten. Es wäre besser gewesen, wir hätten vor der Kampagne noch 6-8 Wochen Zeit gehabt, um in der Öffentlichkeit schon mal mit Veranstaltungen auf das Thema aufmerksam zu machen und dann erst die Kampagne zu starten. Diese Zeit fehlte.
Welche Personengruppe konntet ihr mit eurer Kampagne erreichen?
Bei unseren Veranstaltungen waren viele Jüngere, also um die 20-Jährige. Der Eventcharakter, den wir diesem Ort geben wollten und wollen, der wurde von den Jüngeren gut angenommen.
Jetzt muss man sich fragen, wie finanzkräftig diese Personengruppe ist. Denn knapp 30.000 Euro kann man aus studentischen Ressourcen nicht ganz schöpfen. Für mich zeigt sich heute: Es hätte eine Mischung aus studentischer Unterstützung und Sponsorenmitteln sein müssen. Also Studierende, die T-Shirts kaufen und mal DVDs leihen und Sponsoren, die mal 2.000 Euro geben, um den Stadtteil zu fördern.
Nutzer von Videotheken sind vermutlich eher älter, aber ihr konntet auch Studierende gut erreichen?
Ja, das Gefühl hatte ich schon. Wir hatten sowohl online als auch bei unseren Veranstaltungen viele Studierende. Und wir haben es sogar in die Hessenschau geschafft. Die Reichweite war o.k.: Wir haben Studierende erreicht, aber auch 40+ und wir haben deutschlandweit Presse generiert. Aber wir konnten die Menschen nicht überzeugen.
Was war aus deiner Sicht das Problem?
Das Problem war aus meiner Sicht, dass selbst Leute, die unsere Beiträge gelesen haben, sich nicht vorstellen konnten, wie es weitergehen sollte. Wir haben zwar beschrieben, dass wir die Videothek als Cafe und Museum weiterführen wollen, aber es fehlte das Konkrete.
Mich haben viele Menschen angesprochen, die mir sagten: „Ja, finde ich toll, aber wie will man denn heute noch damit Geld verdienen, heute leiht doch niemand mehr Filme aus.“ Dieses selbsttragende Konzept haben wir nicht detailliert genug dargestellt. Wir hätten sagen müssen: „Liebe Leute, ihr habt alle recht, Videotheken sind tot, deshalb verdienen wir ab sofort Geld mit Getränken und Eintritt für ein Filmmuseum.“ Ich glaube, das hätten die Menschen verstanden. Viele haben nicht verstanden, wie wir auch in 10 Jahren noch mit der Videothek Geld verdienen können.
Wie habt ihr die Kampagne bekannt gemacht?
Wir haben parallel mit dem Aufbau der Seite auch die lokale Presse ins Boot geholt. Außerdem haben wir den Ort, die Videothek mit Veranstaltungen bespielt, die wir über den Blog bekannt gemacht haben. Den Blog haben wir auch mit Erlebnisberichten bespielt. Wir haben im Laden selbst Adresslisten ausgelegt und die Adressaten über unseren Newsletter informiert. Wir haben also parallel zu den Blognachrichten, die ja nur Unterstützer bekommen, einen Newsletter geschrieben und waren in der Tagespresse. Wir waren nicht nur in der HNA, sondern waren sogar im Hamburger Abendblatt. Wir hatten ein bisschen Glück, weil die Redakteure während der documenta auch bei uns im Laden gelandet sind und das Projekt spannend fanden.
Also unser Tipp:
Überlegt euch, wie ihr nicht nur im Netz, sondern auch in der realen Welt Aufmerksamkeit erzielen könnt!
Wir sind unglaublich gut über facebook und social media vernetzt, aber ich glaube, das ist nur ein Teil der Miete. Der andere Teil, der noch überzeugender ist, sind die Menschen, die im Laden stehen und erzählen, wieso dieser Ort erhaltenswert ist.
Wir hatten auch Unterstützervideos: Namhafte Regisseure, die kleine Videoclips gedreht und gepostet haben und diese Clips haben wir auch auf unsere Crowdfunding-Seite verlinkt.
Sehr hilfreich war auch unsere Gebrauchsanweisung: Wir haben auch ein kleines Video gedreht, in dem ganz konkret erklärt wurde, wie man das Geld spendet. Denn wir haben gemerkt, dass es eine große Hürde für Menschen gibt, die uns unterstützen wollen. Viele verlaufen sich im Dschungel der Infos und kommen ohne Hilfe nicht dahin, wo sie spenden können.
Wieso war es so schwierig, die Fundingsumme zu erreichen?
Wir leben in einer Gesellschaft, in der Konsum sehr präsent ist. Wir aber wollten einen kulturellen Wert vermitteln. Das ist schwierig. Einfacher ist es, eine Party zu finanzieren und Bier zu verkaufen.
Trotzdem habt ihr innerhalb kurzer Zeit unglaublich viel auf die Beine gestellt und viele Menschen mobilisiert, wie Bands, Sänger und Comedians, die kostenlos im Film-Shop aufgetreten sind, um euch zu unterstützen.
Das war unsere zweite Kampagne. Wir hatten also schon viel gelernt. Damals haben wir das Randfilmfestival organisiert und versucht, durch Eintrittskarten das Festival vorzufinanzieren. Viele Menschen haben nicht verstanden, dass der Ticketverkauf über die Crowdfunding-Kampagne lief, wir also die Kampagne als Pre-Sales-Instrument nutzen wollten.
Unser Tipp:
Versucht der Idee eine fassbare Form zu geben. Wir haben gelernt, dass es wichtig ist, ein Kulturgut fassbar zu machen, indem wir eine Party machen und dafür Eintrittskarten verkaufen. Oder wir bieten Andenken als Dankeschöns an, wie Plakate oder DVDs.
Versucht, in drei Sätzen klar zu umreißen, worum es geht!
Wenn man mehr als 3 Sätze braucht, wird es schwierig. Das hat auch mit der Aufmerksamkeitsspanne der Zuschauer zu tun:
Entweder sie haben von der Idee schon mal gehört und sind neugierig geworden oder sie haben noch nichts gehört und sind abgeschreckt.
Wir haben die Erfahrung gemacht, dass viele uns gar nicht geglaubt haben, dass es hier in Kassel die älteste Videothek der Welt gibt. Die hielten das für einen Werbegag. Es gibt viele Klippen. Wenn man schon mal eine Kampagne gemacht hat, weiß man schon, worauf man viel Sorgfalt verwenden sollte und was sich eher nicht lohnt.
Ihr habt eine tolle Kampagne gemacht und viele Menschen erreicht. Aber das Geld ist erstmal weg, weil die Fundingsumme nicht erreicht wurde. Trotzdem geht es bei euch weiter. Was macht ihr aktuell und wie kann man euch unterstützen?
Ja, es geht weiter! Es gibt die Möglichkeit, die Unterstützer auf der Crowdfunding-Seite nochmal anzuschreiben. Das wollen wir machen und fragen, ob der eine oder andere das Dankeschön auch außerhalb von Startnext haben möchte. Zusätzlich haben wir große Filmfirmen angesprochen, die uns mit lebensgroßen Filmaufstellern unterstützen, die wir versteigern dürfen.
Wir konnten innerhalb der Crowdfunding-Kampagne viele Kontakte knüpfen, auch zur Museumslandschaft. Diese Kontakte sind nicht verloren und wir hoffen, dass sich daraus Möglichkeiten ergeben.
So eine Videothek mit über 20.000 Titeln – das ist für mich das Bällebad für Erwachsene, also ein Ort, wo ich gerne bin. Darum machen wir auch nach dem Scheitern weiter, bloß eben ohne Netz und doppelten Boden. Das heißt, wir stehen selbst im Laden, packen an, wie und wo es nur geht. Tapezieren, malen, renovieren. Anstatt den Leuten einen „fertigen“ Laden vorzusetzen, wollen wir die kommenden Schritte mit unserem Publikum teilen. Die Menschen können die Veränderung hautnah miterleben und auch mitgestalten. Das heißt, neben Konzerten und Lesungen wird es auch die eine oder andere Abrissparty geben, wenn mal eine Wand zwecks Sortimentserweiterung fällt. Das ist eigentlich doppelt spannend.
Informieren kann man sich auf www.randfilm.de oder auf unserer facebook-Seite, was gerade so ansteht. Oder – noch besser – man kommt einfach auf einen Kaffee oder einen Drink im Laden vorbei. Mittwoch bis Samstag ist immer von 15:00 Uhr bis 21:00 Uhr geöffnet.
Vielen Dank, Ralf, für das Gespräch!
Aufgezeichnet von Gabriele Hennemuth
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Ich denke das Viertel wird in den nächsten Jahren eine spürbare Aufwertung erfahren, gerade weil die Studentenwohnungen dort errichtet wurden und werden. Ich denke die Idee mit einem Café das einen Museumscharakter hat, würde man in der Museumsstadt Kassel einen sehr guten Mix hinbekommen. Wenn dann noch der Titel der ältesten Videothek vernünftig vermarktet würde, hätte man was. Das Alte hatte schon immer was anziehendes und wenn dann noch eine echte Geschichte dahinter steht. Versucht es bitte weiterhin!