Die Gründer-Vita von Carsten Werner zeigt, dass erfolgreiche Unternehmer manchmal auch Durststrecken und Rückschläge überwinden müssen. Im Gründerblog-Interview spricht der Unternehmer über Venture Capital-Investoren, die Risiken schnellen Wachstums und über das perfekte Team.
Carsten Werner hat während seines Mathematik-Studiums an der Universität Kassel gemeinsam mit Jörg Lamprecht und René Seeber die Softwarefirma „Only Solutions“, später „Cobion“ gegründet. 1999 beschlossen die Gründer einen Strategiewechsel, um schneller zu wachsen und holten nach United Internet einen zweiten Investor, Biodata, ins Unternehmen. Kurze Zeit später stand Biodata vor der Insolvenz und auch Cobion kam ins Straucheln. Die drei Gründer kauften das Unternehmen aus der Insolvenzmasse zurück und akquirierten zwei neue Venture Capital Geber. Später kaufte das amerikanische Unternehmen Internet Security Systems ISS Cobion auf. Heute gehört Cobion zu IBM.
2010 gründete Carsten Werner dann gemeinsam mit Jörg Lamprecht und Uwe Chalas „Aibotix“, ein Unternehmen, das Drohnen zur Inspektion und Vermessung entwickelt. 2016 gründete Carsten Werner sein drittes Unternehmen: WecAnvid (heute: TOPOTWIN) bietet dreidimensionale Vermessung und Erfassung von Objekten in photorealistischer Qualität an.
Du hast Ende 1996/Anfang 1997 neben dem Mathematik-Studium mit zwei Kommilitonen „Only Solutions“ gegründet. War es normal, als Student neben dem Studium zu gründen?
Nein, es war nicht normal, aber man hat immer nebenbei ein bisschen programmiert. Es gab das sogenannte „Berufspraktische Semester“, durch das sich Kontakte zu Unternehmen ergeben haben. Es sprach sich schnell rum, dass wir gut programmieren konnten und dadurch gab es immer Aufträge. Informatiker gab es damals kaum. Und Studenten, die programmierten, waren gefragt.
Ihr habt dann zu dritt gegründet.
Jörg Lamprecht kannte ich schon lange, über den Schach-Club. Wir wohnten dann zusammen in einer WG. Und mit René Seeber habe ich zusammen studiert. Wir haben uns gut verstanden, jeder von uns hatte andere Talente und das passte ganz gut. Wir beschlossen dann, nicht alleine vor uns hin zu arbeiten, sondern zusammen eine Firma zu gründen und die Sache professioneller aufzuziehen. Wir mieteten also gemeinsam einen kleinen Raum, meldeten die Firma an und gaben uns einen Namen. Die Aufgabenteilung war so, dass Jörg für die Kundenakquise zuständig war, er hat telefoniert und Aufträge reingeholt und René und ich haben programmiert.
Wie findet man das „Perfekte Team“? Was ist wichtig?
Wichtig ist, dass nicht alle das Gleiche können, sondern dass im Team eine Heterogenität herrscht, jeder andere Talente hat und man sich nicht gegenseitig auf die Füße tritt und um Kompetenzen streitet, sondern dass es eine klare Aufgabenverteilung gibt. Das ist das Eine. Und natürlich sollte man sich auch gut verstehen. Man sollte sich schon gut kennen. Sich später zu trennen, ist schwierig.
Wie ging es dann weiter?
Wir haben anfangs studiert und nebenbei gearbeitet, aber irgendwann war klar, dass wir ganztags arbeiten mussten. Wir waren dann fast durch mit dem Studium, es gab nur noch Prüfungen und die Diplomarbeit. Die anderen haben sich dann mal zwei Monate zurückgezogen um ihre Diplomarbeit zu schreiben und dann war aber irgendwie auch keine Zeit mehr da. Ich habe meine Diplomarbeit dann nicht geschrieben.
Bedauerst du das?
Nein, ich kann ganz gut damit leben. Aber ich hätte es wahrscheinlich bedauert, wenn das Ganze nicht so einen guten Ausgang gehabt hätte.
1999 habt ihr einen radikalen Strategiewechsel vollzogen und mit United Internet einen ersten Investor ins Boot geholt. War euch klar, was das bedeutete?
Nein, das war uns nicht klar. Wir haben uns damals auf eine Reise mit unklarem Ausgang begeben. Man kann es auch nicht über einen Kamm scheren, weil jede Venture Capital Gesellschaft anders agiert. United Internet war ja keine klassische VC-Gesellschaft. Die Beteiligung passte gut ins Portfolio. United Internet suchte ein langfristiges Invest.
Wer waren eure Vorbilder? Wieso habt ihr euch für einen Strategiewechsel entschieden?
Wir haben den neuen Markt beobachtet und gesehen, wie andere Software-Firmen erfolgreich an die Börse gegangen sind und schnell wachsen konnten. Wir sind dagegen nur sehr langsam gewachsen. Mir war es unklar, wie Firmen so hoch bewertet werden konnten, obwohl sie noch gar keine Gewinne machten. Aber irgendwie schien es zu funktionieren. Alles, was mit Software und Internet zu tun hatte, wurde unglaublich gehypt.
Wie habt ihr dann die Kapitalakquise vorbereitet und Investoren angesprochen?
Jörg hatte persönliche Kontakte, u.a. auch zu Friedrich von Diest, der schon erfolgreich einen Börsengang mit ACG hinter sich hatte. Zu ihm hatte Jörg einen persönlichen Kontakt aufgebaut und er war ein Vorbild für uns. Friedrich von Diest hat uns bei der Erstellung des Business Plans unterstützt und uns beraten, wie der Business Plan aussehen muss, um für Investoren interessant zu sein. Dann haben wir telefonisch bei den VC-Gesellschaften vorgefühlt und gefragt, ob das Thema für sie interessant ist und dann haben wir den Business Plan verschickt. Und daraus haben sich dann viele Termine ergeben.
Ihr wart mit einem Team aus drei Mathematikern ja wahrscheinlich nicht das heterogene Team, das sich Venture Capital Geber vielleicht wünschen.
Das war damals kein Problem. Wir hatten ja auch Vorbilder: Google wurde auch ausschließlich von Mathematikern gegründet. Auch das Studium abzubrechen, war damals nicht ungewöhnlich.
Für welche Art von Geschäftsmodell oder Gründerpersönlichkeiten eignet sich VC-Finanzierung?
Es kommt auf die eigene Einstellung an. Man darf kein Problem damit haben, dass viele Dinge über den eigenen Kopf hinweg entschieden werden. Man ist nicht mehr Herr in seinem Hause, sondern man hat nur eine von vielen Stimmen. Und dann darf man nicht vergessen, dass man ja üblicherweise nicht nur eine Finanzierungsrunde hat, sondern mehrere und dadurch immer weiter verwässert wird. Wenn man sich auf VC-Finanzierung einlässt, dann ist eigentlich schon vorgezeichnet, dass man am Ende vielleicht bei 10-15 % der Anteile am Unternehmen landet. Darüber muss man sich klar sein. Deshalb lohnt sich VC-Finanzierung nur, wenn das Unternehmen auch eine gewisse Größe erreicht.
VC-Gesellschaften wollen ihre Beteiligungen üblicherweise nach 7-10 Jahren veräußern und als Gründer muss man sich meist verpflichten, dem EXIT zuzustimmen. War die Vorstellung, das Unternehmen nach einigen Jahren abzugeben, ein Problem für dich?
Nein, damals waren wir noch jung. Mit Anfang 30 hatten wir kein Problem damit, unsere Firma zu verkaufen und wieder was Neues aufzubauen. Ich konnte mir aber beides vorstellen, sowohl ein Unternehmen zu gründen und langfristig am Gewinn des Unternehmens zu partizipieren als auch einen Firmenverkauf. Das hab ich für mich persönlich offengelassen.
Wolltest du schon damals selbständig sein?
Ja, angestellt zu arbeiten fand ich sehr einschränkend. Während meines Praktikums bin ich in einer sehr großen Firma, der Hüls AG gelandet, die dann von Bayer aufgekauft wurde. Und diese Hierarchien und Strukturen und das Gefühl, nur ein kleines Rad im großen Getriebe zu sein, war nichts für mich. Das habe ich damals gemerkt.
Die andere Seite ist ja, dass du als Unternehmer für alles verantwortlich bist.
Ja, wenn du das nicht willst, bist du als Unternehmer fehl am Platz. Du musst Spaß dran haben, Entscheidungen zu treffen.
Was änderte sich, nachdem United Internet bei Cobion eingestiegen ist?
Als United Internet einstieg, gab es alle 1-2 Monate Treffen, bei denen der Stand der Dinge besprochen wurde. Ins Tagesgeschäft haben sie gar nicht eingegriffen. Und United Internet hat auch viel strategisches Wissen und Finanzkompetenz eingebracht. Das war damals für uns sehr hilfreich. Wir mussten nach dem Einstieg von United Internet regelmäßig Kennzahlen vorlegen. Deshalb haben wir auf Drängen von United Internet einen Controller dazu geholt.
Die beiden VC-Gesellschaften, die nach der Biodata-Insolvenz bei Cobion eingestiegen sind, haben sehr viel stärker ins Tagesgeschäft eingegriffen. Wir mussten sehr detailliert berichten und Abweichungen vom Plan sehr genau begründen. Rückblickend ist mir klar geworden, dass wir keine Fehler gemacht haben, sondern dass es einfach seine Zeit brauchte, bis wir die erwarteten Umsätze erreichen konnten. Die Investoren waren damals sehr ungeduldig.
Wie finden Gründer den richtigen Investor?
Hilfreich wäre sicher, andere Unternehmen zu fragen, die schon im Portfolio des Investors sind.
Wie konntet ihr erste Mitarbeiter für euer Startup begeistern?
Die ersten Mitarbeiter, die wir eingestellt haben, waren Kommilitonen aus dem Studium, bei denen wir wussten, was sie konnten und bei denen es menschlich passte. In der Regel waren das auch Leute, die eine Abneigung gegen große Unternehmen hatten und lieber in einem kleinen Startup arbeiten wollten, das sie mitgestalten konnte. Das war viel familiärer und hatte keine Hierarchien. Auch das Aufgabengebiet war spannend. Wir haben eben keine Buchhaltungssoftware gemacht, sondern sehr viel mit Künstlicher Intelligenz und Bildverarbeitung gearbeitet. Muster und Strukturen in Bildern zu erkennen, Fehler automatisch zu erkennen, zu klassifizieren, dem Computer generell eine gewissen Intelligenz beizubringen, das war für uns alle sehr reizvoll, daran mitzuarbeiten.
Das schnelle Wachstum von 15 auf 60 Mitarbeiter stellte euch vor Herausforderungen. Was war daran problematisch?
Zum einen ist es schwierig, die Qualität zu halten. Wir hatten nicht die Zeit, zu gucken, ob die Mitarbeiter die Anforderungen erfüllen konnten. Es war auch eine Herausforderung, die neuen Mitarbeiter zu betreuen und ihnen zu erklären, was zu tun ist und natürlich hatten wir auch Probleme, innerhalb so kurzer Zeit diese hohe Anzahl an Stellen zu besetzen.
Auf der anderen Seite hatten wir natürlich Umsatzziele, die bezogen auf die Zahl der Mitarbeiter hochgerechnet waren. Wir merkten dann, dass wir diese Umsätze nicht erreichten, gleichzeitig hatten wir durch die hohe Zahl an Mitarbeitern hohe Kosten.
Wie bist du mit dem Stress umgegangen? Hattest du Angst zu scheitern?
Es war schwierig, abzuschalten und unbeschwert die Freizeit zu genießen, weil ich in Gedanken natürlich immer in der Firma war. Solange das Unternehmen auf Wachstumskurs war, war das Gefühl ein positives. Wir sahen den Fortschritt, kamen mit der Technik voran und das Unternehmen wuchs. Wir sahen natürlich, dass der Gewinn noch nicht da war, aber das wurde dadurch überdeckt, dass wir den täglichen Fortschritt sahen. Erst als wir begriffen, dass wir uns die vielen Mitarbeiter nicht leisten können, weil wir das Umsatzziel nicht erreichten, kippte das positive Gefühl. Wir merkten, dass wir mehr Zeit brauchten, um den Umsatz zu erreichen und dass wir uns die vielen Mitarbeiter nicht leisten konnten. Die „Burning rate“ war zu hoch. Wir mussten uns dann auf einen Schlag von einem Viertel der Mitarbeiter trennen.
Biodata war Kunde und gleichzeitig auch Investor. Nachdem Biodata Insolvenz anmeldete, kam auch Cobion ins Straucheln. Was hast du aus dieser Zeit mitgenommen?
Erstens: Beim EXIT zählt CASH, nicht das versprochene Aktienpaket:
Wenn eine Firma eine andere übernimmt oder sich beteiligt, dann wird ja eine Prüfung bei der kleinen Firma durchgeführt. die sogenannte Due Diligence. Dabei übersieht man, dass eigentlich die kleine Firma auch die große Firma prüfen müsste. Wir mussten feststellen, dass der äußere Eindruck nicht die innere Realität wiederspiegelte. Biodata war an der Börse und hat immer Zahlen veröffentlich, deshalb haben wir uns darüber keine Gedanken gemacht. Später stellte sich heraus, dass die Zahlen so nicht die tatsächlichen Verhältnisse wiedergaben. Aber auch sonst kann die Situation am Aktienmarkt stark schwanken. Deshalb würde ich heute immer raten, sich bei einem EXIT cash bezahlen lassen und nicht –wie häufig üblich- auch in einem Aktienpaket. Bei uns war es damals so, dass ein Teil des Kaufpreises in Biodata-Aktien bezahlt werden sollte. Als Biodata dann Insolvenz anmeldete, standen wir eigentlich vor dem Aus: einerseits war die eigene Firma quasi verschenkt worden und andererseits war der wichtigste Kunde insolvent. Wir haben dann unser Geld zusammengekratzt und die Firma zurückgekauft. Jörg hat seine Kontakte wieder aufleben lassen und wieder Venture Capital Gesellschaften angesprochen. Zwei davon sind dann auch ins Unternehmen eingestiegen. Wellington und Sofinnova.
Zweitens. Beim EXIT sollte man sich nicht auf eine sogenannte Earn-Out-Klausel einlassen, also einen variablen Anteil am späteren Erfolg des Unternehmens, weil der spätere Erfolg nicht mehr in der Hand der Gründer ist.
Drittens: Beim EXIT genau schauen, wie der Investor arbeitet, was er vorhat.
Bei Aibotix prallten zwei Welten aufeinander, als unser junges Startup von Leica übernommen wurde. Leica hat als etabliertes Unternehmen mit ganz anderen Prozessen gearbeitet, die sehr viel zeitaufwendiger waren. Dadurch dauerten Entscheidungsprozesse plötzlich sehr viel länger und flexible Anpassungen, die bei einem jungen Startup einfach nötig sind, waren nicht möglich.
Jetzt hast du ja schon drei Unternehmen gegründet und auch zwei EXITs erlebt. Ist das wie eine Blaupause? Ist es jetzt einfacher, weitere Unternehmen zu gründen?
Es ist sicher einfacher und ich weiß, worauf ich achten muss, aber auf der anderen Seite ist es doch so, dass das, was man sich als Gründer anfangs vorstellt oder in seinen Business Plan schreibt, nach zwei Jahren Schall und Rauch ist und sich einfach viele Dinge anders entwickeln.
Man muss sicher beim Start bestimmt Regeln einhalten, z.B., dass man das, was man machen will, beherrscht und gut sein muss, aber man muss auch Freiheitsspiele offenlassen, um zu erkennen, was die Kunden eigentlich brauchen. Das Feedback der Kunden ist unglaublich wichtig, um die eigenen Produkte nochmal zu justieren und das Unternehmen auszurichten. Als wir Cobion gründeten, hat Biodata uns geholfen, herauszufinden, wo die größten Marktchancen sind. Wir sind damals einfach mit Programmierung ohne eigene Produktideen gestartet. Erst mit der Zeit sind die Produktideen gekommen. Biodata hat Firewalls hergestellt und dann kam die Idee auf, Contentfilter zu entwickeln, also E-Mails nach Spams zu untersuchen oder problematische Seiten im Internet zu finden und die Suche dann zu automatisieren.
Bei Aibotix sind wir relativ konkret mit Ideen gestartet. Wir wollten Multikopter entwickeln, die viel sicherer und einfacher zu handhaben sein sollten. Wir haben aber die Komplexität unterschätzt, was auch daran lag, dass wir drei uns mit Software gut auskannten, aber zu wenig in Hardware. Das war für uns ein neuer Bereich.
WecAnvid hast du alleine gegründet und keine Investoren im Boot. Wieso?
Ja, ich strebe organisches Wachstum an! Ich genieße es, alles alleine entscheiden zu können!
Ursprünglich wollte ich Dienstleistungen rund ums Bild anbieten, dazu zählt die klassische Fotografie für Industriekunden und Werbekunden, aber auch die Filmerei. Wir bieten Imagefilme an, aber auch Luftbilder und daraus abgeleitet Inspektions- und Wartungsarbeiten aus der Luft. Mittlerweile liegt der Schwerpunkt auf der dreidimensionalen Vermessung und Erfassung von Objekten in photorealistischer Qualität. Wir werden uns deshalb auch von WecAnvid in TOPOTWIN umbenennen, um der dreidimensionalen Erfassung von Objekten gerecht zu werden.
Gibt’s Dinge, auf die du stolz bist?
Ich bin schon stolz auf meinen Anteil an unserem Erfolg. Und darauf, dass ich in schwierigen Situationen hartnäckig geblieben bin und alles durchgestanden habe.
Wieso bist du gerne Unternehmer?
Ich gestalte gerne mein Leben selber. Das hat auch beruflich dazu geführt, dass ich sehr selbstbestimmt leben möchte.
Danke für das Gespräch.
Aufgezeichnet von Gabriele Hennemuth