Produkdesignerin Susanne Wegerich betreibt ein „experimentelles Foodlab“

Die Produktdesignerin verfasste ihre Diplomarbeit zum Thema der „neuen Kultur gastronomischer Pop-Ups“. Heute betreibt sie mit zwei Mitarbeiter*innen das „Dépanneur“ als Foodlab und Pop-Up Location sowie ein Cateringunternehmen unter dem Label „Stulle & Gut“. Auf dem Gründerblog beschreibt sie den Weg von der Nebenbei-Gründerin zur Vollzeitunternehmerin.

Die Idee entstand durch die Abschlussarbeit meines Freundes, Jonas Buntenbruch. Er hat 2012 als Designer ein Buch über „Die Stulle als Kulturgut“ geschrieben. Entstanden ist eine Art Manifest für die handwerkliche und regionale Lebensmittelproduktion am Beispiel Brot. Gemeinsam entwickelten wir aus der Theorie die Praxis und setzten das Konzept „Stulle & Gut“ als Cateringprojekt um.

Den Schritt zur Gründung habe ich einfach gemacht, ohne viel darüber nachzudenken. Es war eine absolute Bauchentscheidung und entwickelte sich von Anfang an völlig organisch neben meinem Studium.Mein erstes Catering war ein Auftrag vom Kulturhaus Dok4. Es galt ein Theaterfestival über sieben Tage kulinarisch zu begleiten. Ich habe ein Notizheft angelegt, Räume vermessen, mit großem Aufwand das Catering geplant und eine kleine Bar vor Ort eingerichtet. Als Studentin konnte ich den zusätzlichen Aufwand investieren so eine Qualität anbieten, die weit über der des Marktes lag.

Dieses Vorgehen wurde zu meiner Spezialität. Als Produktdesignerin konzipiere ich jedes Catering als eigenständiges Projekt und betrachte inhaltliche Kontexte und Spielräume. Jedes Event wird ganzheitlich betrachtet, denn Essen spielt bei jeder Veranstaltung eine zentrale Rolle, erfüllt aber immer eine etwas andere Funktion. Mir ist es wichtig mich selbst weiterzuentwickeln und als Beraterin zum Erfolg einer Veranstaltung beizutragen.

Glücklicherweise sind meine Kunden von Anfang an diese Reise mit mir gegangen. In den ersten Jahren war jedes Catering total aufregend und auch heute spüre ich immer noch die Spannung und eine Art Lampenfieber. Ich musste vieles gleichzeitig lernen: Neben Konzeption, Beratung und Planung galt es auch pragmatische Aspekte wie Einkauf, Küche und Logistik zu organisieren, Zeitpläne zu erstellen, Schichtpläne abzustimmen und natürlich das Team zu briefen. Und danach muss noch die Buchhaltung erledigt werden.

Da wir uns von Anfang an ein Standing in der Kasseler Kulturszene erarbeitet hatten, ergab sich zur documenta 14 die große Chance, das Presse- und Besucherzentrum auf dem Friedrichsplatz inhaltlich zu konzipieren und über 100 Tage zu Betreiben. Für uns war diese Gelegenheit ein wichtiger Schritt zur Professionalisierung. Wir investierten in Infrastruktur, gründeten eine GbR, sanierten eine Küche, stellten ein zehnköpfiges Team zusammen und entwickelten ein gastronomisches Konzept mit viel Sichtbarkeit.

Dabei ist in Zusammenarbeit mit den Architekten Aristide Antonas aus Griechenland und Team4 aus Kassel ein großartiger Rückzugsort mitten im hektischen Treiben der documenta entstanden. Er ermöglichte Journalist*innen das Arbeiten in ruhiger Atmosphäre und lud gleichzeitig Gäste zu Lunch, Kaffee oder einem Drink auf der dazugehörigen Dachterrasse ein. Ganz im Sinne des kuratorischen Konzeptes der documenta 14 verband der Ort Pragmatismus mit der Wertschätzung für kulinarische Kulturgüter. So traf griechischer Bergtee auf Ahle Wurscht und deutscher Filterkaffee auf mediterrane Sandwiches.

Danach fokussierte ich mich auf meine Diplomarbeit. Meine kulinarische Neugier war aber ungebrochen, ich sog alles auf – von jeder Episode „Chef’s Table“ bis zur Fachliteratur über Fermentation. Gleichzeitig interessierte mich das handwerkliche Kochen und ich wollte nicht nur theoretisch arbeiten sondern Konzepte umsetzen. Die Strukturen traditioneller Gastronomie schienen mir aber zu unflexibel.

Die Idee war, Gerichte nach Kassel zu bringen, die es bisher hier nicht gab: So entstanden zum Beispiel „Poke und Limo“ oder „Ramen und Bier“. Es waren Experimente mit Publikum: Wir haben ein Menü mit Getränk festgelegt, einen Ort gesucht, ein kleines Gestaltungskonzept dazu entwickelt und einfach ausprobiert. Wir wollten testen, ob neue und teilweise experimentelle Formate auch in der eher traditionell geprägten Kassler Szene funktionieren. Es gab auch immer viel Vermittlungsarbeit: Was ist ein Pop-Up? Was ist Poke? Warum an diesem Ort und wieso nur für einen Tag? Rückblickend war jede Veranstaltung erfolgreich und endete in der ein oder anderen ausgelassenen Feier.

Die Pandemie trifft die Gastronomie hart, hat aber auch zu einem Innovationsschub geführt. Für mich ist seit dem ersten Lockdown im Frühjahr 2020 das Catering-Geschäft zu 95% weggebrochen, das war ein harter Schlag. Ohne es zu ahnen, hatten wir aber auf der anderen Seite mit unseren Pop-Ups ein Tool entwickelt, dass sich als überraschend geeignet für pandemischen Zeiten herausstelle.

„Ramen und Bier“ öffnet zur Zeit nur für drei Stunden pro Woche zum Take-Away. Wir arbeiten mit lokalen Rohstoffen, machen Brühe, Nudeln und sogar Tofu selbst. Die Kommunikation findet zum großen Teil über Social Media statt, der Standort liegt im Off und es funktioniert trotzdem. Wir glauben, dass wirklich gutes Essen den Menschen durch die Pandemie hilft. Ein unmittelbarer, echter und inhaltlicher Bezug zu Rohstoffen, Handwerk und den Menschen hinter dem Essen baut Vertrauen auf und ist gerade jetzt mehr Wert als schnelle Verfügbarkeit oder günstige Preise.

Ich sehe den Dépanneur als eine Art gastronomisches Labor, in dem immer wieder neue Konzepte entwickelt werden und Raum für Forschung ist. Funktionierende Konzepte werden ausgegründet und die Anderen als Learning dokumentiert. Zuletzt haben wir quasi als Nebenprodukt aus unserem Take-Away Angebot „nordhessisches Kimchi“ im Glas entwickelt. Die Techniken und das Wissen stammen traditionell aus Korea, die Rohstoffe aus der Region und das Ergebnis ist wahnsinnig lecker und nachhaltig. Wir testen das Produkt momentan in ausgewählten Unverpackt- und Bioläden in Kassel und wollen uns in Zukunft verstärkt auf haltbare Lebensmittel fokussieren.

Für die Zukunft wünsche ich mir, dass wir weiter ganz natürlich wachsen können, das Bewusstsein für gutes Essen fördern und die nachhaltige und regionale Lebensmittelproduktion weiter stärken können. Außerdem wünsche ich mir, dass Ernährung und die damit verbundenen Wirtschaftszweige mehr in den Fokus von Lehre, Wissenschaft und Forschung rücken, um die damit verbundenen Herausforderungen für die Zukunft meistern zu können.

Foto: Melanie Vogel

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